»Wer es wagt, Grenzen zu überschreiten, wird deshalb nicht automatisch zum Künstler. Umgekehrt steht fest: Jeder Künstler ist ein Grenzüberschreiter. Beethoven oder Mahler stießen in Regionen des zuvor Unerhörten vor, machten gar das Unaussprechliche fühlbar. Als sich vorgestern das Orchester ’91 in der Musikhalle an die Interpretation eben dieser beiden Meister machte, war noch einmal die Überwindung von Grenzen vonnöten. Würde ein nicht ausdrücklich professionelles Orchester, das in acht Workshop-Einheiten pro Jahr genau ein großes sinfonisches Programm erarbeitet, den komplexen Klangkosmos von Mahlers Fünfter zum Leben erwecken können? Spieltechnisch, geistig, spannungsmäßig? Ohne Zweifel: Das Orchester ’91 vermag genau dies. Der Klangkörper aus musikalisch gebildeten Laien, Berufsmusikern und Musikstudenten vereinigt geballte Musikalität, unbändige Spielfreude, kluge Konzentration und den Mut zum grenzgängerischen Risiko, den man im orchestralen Profialltag eher selten erlebt. Die Sinfonie, die Roland Fister, Kapellmeister im Coburger Theater, mit dem Orchester ’91 einstudiert hatte, geriet jedenfalls nach Maß: Vom markanten Appell der Solotrompete gleich zu Beginn, der draufgängerischen Lust am Groben und Krassen in der Militärmusik des Trauermarschs, über das furiose Scherzo und das bewusst nicht zu langsam genommene Adagietto bis zum überwältigenden Rondo-Finale. Zuvor war das umjubelte Orchester ein ebenbürtiger Partner für den jungen Pianisten Caspar Frantz. Ludwig van Beethovens 3. Klavierkonzert verortete er mit einem klar konturierten, perlenden Klangbild in der Nähe mozartischer Leichtigkeit. Ganz in diesem Sinne animierte Roland Fister sein Orchester zu einem transparenten, gleichsam authentischem Beethoven-Sound. Bravi!«